Risikomanagement: Wer braucht es – und warum?
Unternehmen nehmen in ihrem Umfeld am Wirtschaftsgeschehen teil. Sie können das Verhalten der anderen Teilnehmer, der Märkte und der Umwelt nicht kontrollieren, bestenfalls können sie es beeinflussen (in welchem Grad auch immer). Damit sind Unternehmen Risiken ausgesetzt.
Was sind Risiken?
Risiken werden definiert als die Möglichkeit, von einem Plan bzw. Ziel abzuweichen. D.h., auch das Übertreffen eines Plans ist ein Risiko (= Chance = upside risk – im Gegensatz zum Risiko im engeren Sinne oder downside risk). Schon dieses Beispiel zeigt, dass Risiken per se nichts Schlechtes sind. Zudem resultieren Renditen aus übernommenen Risiken. Wer keine Risiken eingeht, der erwirtschaftet auch keine Renditen.
Erfolgreiche Unternehmer erzielen Gewinne, weil sie Risiken eingehen – und zwar die „richtigen“ Risiken. Um diese „richtigen“ Risiken auszuwählen, braucht es ein Steuerungssystem, das eine Aussage darüber zulässt, ob es die mögliche Chance rechtfertigt, das damit verbundene Risiko einzugehen.
Weshalb versagen die üblichen Steuerungstools?
Die gängigen Steuerungstools, allen voran die Unternehmensplanung und die Kostenrechnung, können diese Informationen nicht liefern. Zunächst ist die Planung handlungsorientiert; „Was muss ich tun, um mein Ziel zu erreichen?“. Demgegenüber ist eine Prognose erkenntniszentriert: „Was wird voraussichtlich passieren?“.
Für unternehmerische Entscheidungen ist aber nicht die Planung, sondern die Prognose (Erwartungswert oder erwartungswertgetreue Planung) heranzuziehen. Andernfalls könnte man jede Krise mit dem Gewinn des Lotto-Jackpots „wegplanen“.
Die Unternehmensplanung kann auch deswegen die Steuerungsaufgabe nicht erfüllen, weil sie üblicherweise mit fixen Werten (deterministisch) erstellt wird. D.h., die Planung kennt nur eine Sicht der Dinge, nämlich ihren Plan. Sie beinhaltet insbesondere keine Aussage darüber, ob und wie unsicher der Plan ist und wie die künftigen Ergebnisse um diesen Plan streuen können.
Manche Unternehmer versuchen, dies durch Adjektive wie „konservativ“, „ambitioniert“ oder „realistisch“ qualitativ zu beurteilen. Meist sind das aber nur Phrasen. Operabel sind derartige Einschätzungen nur, wenn zudem ausgedrückt wird, wie wahrscheinlich das Erreichen des Planes ist, und wie sich die weitere Wahrscheinlichkeit um den Planwert verteilt. Nur dann ist die Planung zu Entscheidungszwecken verwendbar.
Die Kostenrechnung, wenn sie gut gemacht ist, baut auf Plankosten auf und teilt damit das Schicksal der (untauglichen) Planungsrechnung. Wenn sie schlecht gemacht ist, baut sie auf historischen Daten auf und unterstellt damit, dass sich künftig nichts ändert („Du darfst so bleiben wie Du bist“).
Weshalb gibt es regelmäßig einen Überhang der Risiken im engeren Sinne (downside risk) über die Chancen?
Zum einen basiert die Einschätzung auf Grundlage der Planung. Planung ist dabei aber nichts Schlechtes. Es ist sicher besser zu planen, auch einwertig, als völlig ungesteuert in die Zukunft zu gehen. Man muss sich aber dieser Beschränkungen bewusst sein. Die Planung ist regelmäßig handlungs- und zielgetrieben. D.h., der Unternehmer plant seinen Erfolg. Um diesen maximalen Erfolg zu erreichen, versucht er, seine Kapazitäten voll auszulasten und Risiken im engeren Sinn zu vermeiden.
Tatsächlich aber können Kunden abwandern und die Ausbringungsmenge der Produktion nimmt ab. Ist die Produktionsmenge aber optimiert, können keine weiteren Steigerungen mehr erfolgen. D.h., es besteht ein Risiko des Rückgangs, aber keine bzw. wenig Chance auf Steigerung.
Dasselbe gilt für die sog. „Events“, z. B. ein Hallenbrand oder eine Cyberattacke. Eine Halle kann abbrennen und ein Cyberangriff kann erfolgreich sein. Eine Halle kann aber nicht „zulaufen“ und ein Hacker verteilt nicht wie Robin Hood Wohltaten an andere Unternehmen. Eben jene Risiken im engeren Sinne tauchen in der Erfolgs-Planung des Unternehmers nicht auf, existieren aber dennoch. Dies führt in Summe dazu, dass Unternehmen in der Regel einem Risikoüberhang gegenüber den Chancen ausgesetzt sind.
In der Konsequenz bedeutet dies, dass der vom Management erwartete Wert, also der Einzelwert mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit (auch Modus oder Modalwert genannt) regelmäßig über dem Erwartungswert (Prognose) liegt. Das Management überschätzt also regelmäßig die Chancen, was zu gefährlichen Fehlentscheidungen führen kann.
Weshalb sind Unternehmer blind für Risiken?
Unternehmer sind blind für diese Risiken, weil sie erfolgreich sind. Dies lässt sich gut an der sog. Truthahn-Illusion von Gerd Gigerenzer darstellen:
Ein Truthahn-Küken schlüpft am Tag 1. Noch am selben Tag erscheint ein großer dunkel gekleideter Mann mit Vollbart und Hut, Gummistiefel, Hände so groß wie Pizzateller, in denen er je einen Eimer trägt. Das Truthahn-Küken kann die Situation nicht einschätzen. Kommt Freund oder Feind? Da das Küken nichts von der noch so neuen Welt weiß, schätzt es Freund oder Feind 50:50 ein.
Am Tag 2 wiederholt sich die Szene. Nun war der große Mann schon 2-mal da und es ist nichts passiert. Am Tag 3 wiederholt sich die Szene abermals, usw.
Mathematisch kann diese Entscheidungssituation durch die Formel von Laplace ausgedrückt werden:
Danach konvergiert die Wahrscheinlichkeit, der Mann sei ein Freund des Truthahns, mit der Zeit gegen 100 %.
Nach rund 140 Tagen ist aus dem kleinen hilflosen und ängstlichen Küken ein stolzer Truthahn geworden.
Was der Truthahn nicht weiß: Morgen ist Thanksgiving.
Fazit: Was ist also zu tun?
Eben das ist die Situation gerade bei erfolgreichen Unternehmern. Nicht umsonst hat Bill Gates einmal gesagt: „Erfolg ist ein lausiger Lehrer. Er verführt kluge Menschen dazu, zu denken, dass sie nicht verlieren können.“
Nun ist es teuer, aus den eigenen Fehlern zu lernen. Intelligenter ist es, sich die Situation bewusst zu machen. Das Risikomanagement kann dabei helfen, die Situation des Unternehmens und dessen Zukunft realistisch einzuschätzen und ist folglich ein elementarer Sparringspartner in Entscheidungssituationen.